Journey

November 2022

Schwupps – schon wieder ein Monat rum.

Diesen Blogbeitrag schreibe ich, während ich mit meinen Kindern auf Reha auf Amrum bin. Insgesamt gefällt es uns hier ganz gut. Die Seeluft tut uns allen gut und trotz coronabedingter Einschränkungen (z.B. findet für Begleitkinder keinerlei Programm außer zwei Stunden Schule am Tag statt) machen wir uns eine gute Zeit. Die Kinder lieben den Strand und das das Fahrradfahren – ganz anders als ihre Mutter. Radfahren war noch nie meins und hier sehe ich es, da wir kein Auto dabei haben, als Mittel zum Zweck, um von A nach B zu kommen. Und Strand… puh… ja, mag ich… aber besonders gut finde ich ihn in einer Strandbar im Schatten, ohne Kinder, mit einem Cocktail in der Hand und ohne kühlen Böen und Regen. Aber das soll hier nicht Thema sein, das Wetter kommt wie es kommt und wir sind ja nicht zum Urlaub hier.

Auszeit ist nicht gleich Auszeit!

Anders als bei meiner letzten “Auszeit” im August, bei der ich ja sämtliche Social Media Kanäle aus dem Alltag verbannt und auch das Schreiben bewusst auf Eis gelegt habe, lass ich in diesen vier Wochen zumindest zweimal wöchentlich was auf Insta und Facebook von mir hören. Ich lese jeden Abend, sofern nach den durchaus anstrengenden Tagen an der frischen Luft und bei den Schulungen, Seminaren und sonstigen Begleitpersonentätigkeiten nicht meine Augen zusammen mit denen meiner Kinder zu fallen. 😉 Schreiben habe ich, mit Ausnahme dieses Blogbeitrags, noch nicht auf die Reihe gebracht. Ärgert mich ein wenig, auch wenn ich im Vorfeld nicht wirklich damit gerechnet habe. Und genau jetzt sind wir beim Punkt: Warum ärgert es mich? Weil ich dieses Mal nicht raus bin aus den Sozialen Medien und sehe, wie andere vorankommen, Ende unter ihr Manuskript schreiben, veröffentlichen… und ich sitze schon wieder auf der Bremse. Das erfordert eine gewisse Mentalarbeit. Denn natürlich weiß ich, dass jeder nur in seinem Tempo kann. Aber wissen und fühlen waren ja schon immer zwei unterschiedliche Paar Schuhe.

Wenn es sich anfühlt, als zögen fast alle an einem vorbei, lässt sich das nur schwer ignorieren.

Außerdem kommt ein weiterer Faktor hinzu: Ich beschäftige mich schon lange mit dem Tod. Schreibe seit Jahren immer wieder darüber (wenngleich meistens nur für mich). Habe mir meine eigenen Gedanken dazu gemacht und beschäftige mich jetzt mit denen anderer. Und nun rückt, was von der Sache her ja erfreulich ist, dieses Thema immer mehr in den Fokus verschiedener Artikel, Bücher und so weiter. Menschen, die sich aus Trendgründen mit dem Tod beschäftigen treten hervor. Und ich komme einfach nicht voran. Das nagt. Durch die Fokussierung habe ich die unterschiedlichsten tollen Profile gefunden. Profile von Menschen, die sich auch schon lange mit dem Sterben und dem Tod auseinandersetzten. Diese finde ich unglaublich bereichernd. Nur habe ich zugleich Angst. Angst davor, dass ich “meinen Slot” verpasse und mit meinem Buch auf der Bühne erst erscheinen kann, wenn die Thematik schon wieder so durchgenudelt ist, dass sie keiner mehr hören mag. Vielleicht geht es Dir auch so, dass Du das schon beobachten konntest. Hierher rührt glaube ich auch meine “Allergie” gegen manche Begriffe wie Achtsamkeit etc. Und ich möchte nicht, dass das “meinem” Thema auch widerfährt.

Schockstarre – Anteilnahme – Genervt sein. Genau in der Reihenfolge, aber nicht immer in der gleichen Gewichtung.

Ein ähnliches Gefühl ergreift mich, wenn in den Medien ein katastrophales Großereignis (Naturkatastrophe, Krieg etc.) erscheint: Erst kommt die Schockstarre. Dann die Anteilnahme. Dann bin ich genervt. Nicht vom Ereignis selbst, sondern von der Dauerbeschallung in den Medien. Bei 9/11 war es so. Und bei den Flutkatastrophen, dem Ukrainekrieg, dem Hurricane in Florida und so weiter und so fort. Ich möchte gerne mehr Anteilnahme zeigen und es bleibt mir oft nichts anderes übrig, als dies im stillen Kämmerlein zu tun. Nach der ersten Ohnmacht und dem Gefühl, dass man da doch was tun müsse, kommt das die zweite Ohnmacht, dass man im aktuellen Augenblick nicht wirklich viel tun kann. Ich bin niemand, der ungefragt in ein Katastrophengebiet fährt. 2002 war ich bei der Flutkatastrophe mit dem Roten Kreuz in Ostdeutschland. So helfen, das ist meine Welt. Weil ich weiß, dass unregistrierte und damit auch unkoordinierte Hilfe oftmals gut gemeint ist, aber an mancher Stelle mehr Chaos schafft als Unterstützung bringt.

Inzwischen bin ich älter geworden und habe eine Familie. Bis die Kinder größer sind, möchte ich mich aktiv keinen Gefahren aussetzen, durch die ich hinterher eventuell nicht mehr in der Lage bin, mich um sie zu kümmern. Also bleiben nur das stille Kämmerlein, um den Menschen zu gedenken, die Hilfe brauchen. Sehr unbefriedigend. Oder Spenden. Das tu ich, wo es mir möglich ist. Doch bleibt leider der letzte Punkt, das genervt sein, oftmals einfach nicht aus. Und weil es schon so häufig passiert ist, tritt diese Phase leider immer schneller ein. Ich sehe mittlerweile in den Nachrichten, dass irgendwo auf der Welt etwas Schlimmes passiert und dann? Schockstarre? Vielleicht. Aber mein Hirn sagt mir gleich: Das wird wieder ein mediales Großereignis, na toll. Und ich schalte ab. Gehe raus aus der Situation, kümmere mich um meine eigene kleine Welt. Da will hoffentlich außer der Familie keiner was von mir. Glücklich bin ich damit nicht. Ich möchte meine Ruhe, drehe dann allerdings bewusst wieder um und schaue, ob ich nicht doch irgendwie was tun kann. Häufig genug lautet die Antwort „nein“, aber ich versuche es zumindest immer wieder. Denn einmal helfen ist besser als keinmal helfen.

Ich hoffe, der Tod wird nicht zur Gelddruckmaschine für Menschen, die sogar ihre Oma verkaufen würden!

Zurück zum Ausgangspunkt: Ich hoffe, dass der Tod nicht einfach nur ausgeschlachtet wird, um damit Geld zu verdienen. Das passiert leider schon häufig genug. Wie in anderen Bereichen werden die Gefühle der Menschen genutzt, um daraus Profit zu schlagen. Dir geht es schlecht? Prima, nutze das als Chance… und kaufe mein Produkt oder meine Dienstleistung. Es gibt Menschen, die eine Expertise darin besitzen, anderen bei ihrem konkreten Problem zu helfen. Und diese Menschen SOLLEN bitte Geld damit verdienen, denn auch sie haben ein Leben, das finanziert werden möchte. Haupt- und nebenberufliche Autoren machen nichts anderes. Der Selbstverwirklichungsaspekt beim Schreiben ist natürlich häufig Antrieb genug, um weiterzumachen. Auch in schlechten Zeiten. Aber am Ende steht ein Produkt, mit dem wir unseren Lebensunterhalt finanzieren oder zumindest im Nebenerwerb etwas dazuverdienen möchten. Ich vertrete die Ansicht, dass kein Mensch dazu verpflichtet ist, alles immer für umsonst rauszuhauen. Ob es qualitativ gut oder eher für die Tonne ist, müssen die Leser bzw. die Käufer des jeweiligen Produktes oder der Dienstleistung entscheiden. Nur wenn ich manche Selbsfindungsgurus sehe oder nun Seiten und Accounts, bei denen sich in den Vordergrund drängt, dass das Geld und nicht der Mensch im Vordergrund steht, dann wird mir – einfach ausgedrückt – schlecht. Und ich fühle eine ähnliche Hilflosigkeit wie bei den oben angesprochenen Katastrophen, möchte mich abwenden und – bildlich gesprochen – einfach hier auf der Insel bleiben. Wo die Uhren doch anders schlagen, Alltagsprobleme mich kaum berühren und ich mein Ding machen kann. In meinem Tempo.

Aber das geht nicht. Auch dieser Aufenthalt wird zu Ende gehen. Somit kann ich nicht anders, als zu versuchen, mein Buch fertig zu schreiben und in die Welt zu lassen… bevor der Tod vielleicht kein Tabuthema im bisherigen Sinne mehr ist, dafür aber eines, von dem keiner mehr hören mag. Weil man gar nicht mehr weiß, wie man eine Auszeit bekommt, wenn man sie braucht. Das hat er nicht verdient, der Boandl. Und wir auch nicht.

Einen schönen November! Nächstes Mal, wenn Du hier von mir hörst, sind wir schon mitten in der Vorweihnachtszeit. 🎄

Deine Charlie 💚

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